DIPL.-KFM. WERNER MUNDORF · STEUERBERATER · DEMMIN


Rechtsschutz in Steuersachen

Zwei Vorbemerkungen

Rechtsschutz in Steuersachen ist ein sehr komplexes Rechtsgebiet, dessen auch nur halbwegs vollständige Darstellung den Rahmen dieses Überblicks mehr als sprengen würde. Angesichts der Tatsache, daß es sich bei der Finanzverwaltung um eine Eingriffsverwaltung handelt, ist die Abwehr belastender Verwaltungsakte (§ 118 AO) wohl der bedeutendste Zweck dieses Rechtsschutzes. Da Steuerbescheide (§ 155 Abs. 1 Satz 2 AO) unzweifelhaft die häufigste Form solcherlei belastender Verwaltungsakte sind, beschränke ich mich im folgenden auf einige skizzenhafte Anmerkungen zu diesem Themenbereich.

Da das Steuerrecht – wie jedes andere Recht auch – in vielen Fällen durch Gesetzesauslegung interpretiert werden muß, um zugänglich zu werden, kommt es schon aufgrund dieser Interpretationsbedürftigkeit vieler Einzelbestimmungen zu allerlei divergierenden Rechtsauffassungen. Darüber hinaus tragen aber auch die sehr unterschiedlichen gedanklichen Ansätze der Hauptbeteiligten, resultierend aus den jeweiligen Zielvorgaben – Maximierung des Steueraufkommens auf der einen, Minimierung der Steuerbelastung auf der anderen Seite – nicht unbedingt zu übereinstimmender Gesetzesauslegung bei. Beides zusammengenommen führt dazu, daß man sich häufig und heftig streitet, was die höchst umfangreiche steuerrechtliche Rechtsprechung in Deutschland auf das Wirkungsvollste dokumentiert. Dies vorausgeschickt, läßt sich sehr kurz gefaßt folgendes feststellen:

Prüfung von Steuerbescheiden

Rechtsschutz in Steuersachen beginnt für den Steuerberater immer mit der sorgfältigen Prüfung der von der Finanzverwaltung erlassenen Steuerbescheide, und zwar innerhalb der gesetzlich bestimmten Einspruchsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe des jeweiligen Steuerbescheides (§ 355 Abs. 1 Satz 1 AO). Besitzt der Steuerberater eine entsprechende Vollmacht (§ 80 AO) des Mandanten, werden die Steuerbescheide an ihn als Vertreter des Mandanten bekanntgegeben (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO); in diesem Fall hat der Mandant selbst immer dann nichts weiter zu veranlassen, wenn er seinen Steuerberater beauftragt hat, grundsätzlich alle für ihn eingehenden Steuerbescheide zu prüfen. Hat der Mandant keine entsprechende Vollmacht an den Steuerberater erteilt, wird der Steuerbescheid an ihn persönlich bekanntgegeben (§ 122 Abs. 1 Satz 1 AO). In diesem Fall muß sich der Mandant selbst um eine solche Prüfung kümmern oder den Steuerberater im Einzelfall ausdrücklich damit beauftragen. Mandanten, die in Deutschland weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung haben, müssen auf Verlangen der Finanzbehörde einen Empfangsbevollmächtigten in Deutschland benennen (§ 123 AO).

Im Folgenden wird davon ausgegangen, daß der Steuerberater den Steuerbescheid prüft, die eingereichte Steuererklärung fehlerfrei war und der Steuerbescheid nicht auf einem Grundlagenbescheid im Sinne des § 171 Abs. 10 AO, also z. B. einem Feststellungsbescheid (§§ 179 ff. AO) oder einem Steuermeßbescheid (§§ 184 ff. AO), beruht. Auf Besonderheiten, wie zum Beispiel die Möglichkeit der Sprungklage (§ 45 FGO), soll hier nicht weiter eingegangen werden.

Führt hiernach die Prüfung eines Steuerbescheides zu dem Ergebnis, daß dieser in Ordnung ist, übermittelt der Steuerberater dem Mandanten den Steuerbescheid mit einem entsprechenden Prüfvermerk versehen und die Angelegenheit ist damit erledigt. Führt indessen diese Prüfung zu dem Ergebnis, daß der Steuerbescheid nicht in Ordnung ist, kommt es entscheidend auf die Art des Fehlers an, an dem der Steuerbescheid leidet.

Offenbare Unrichtigkeiten – Änderungsantrag

Handelt es sich um offenkundige Schreib- oder Rechenfehler oder wurden Angaben aus der Steuererklärung offensichtlich fehlerhaft oder versehentlich gar nicht in die EDV des Finanzamts übernommen, können solche offenbaren Unrichtigkeiten vom Finanzamt jederzeit – also auch außerhalb der Einspruchsfrist – zugunsten wie zu Lasten des Mandanten berichtigt werden (§ 129 AO). Ist der Mandant durch einen solchen Fehler belastet, wird der Steuerberater einen schlichten Änderungsantrag beim Finanzamt stellen, das daraufhin einen entsprechend berichtigten Steuerbescheid erlassen wird (§ 172 Abs. 1 Nr. 2a AO). Ist der Mandant durch einen solchen Fehler nicht belastet, wird der Steuerberater nur seinen Mandanten über den entdeckten Fehler unterrichten und diesen auf die jederzeitige Berichtigungsmöglichkeit hinweisen.

Abweichende Rechtsauffassungen – Einspruchseinlegung [Vorverfahren]

Führt die Prüfung allerdings zu der Feststellung, daß das Finanzamt materiell-rechtlich zuungunsten des Mandanten vom Inhalt der Steuererklärung abgewichen ist, so ist zunächst zu klären, worin die Abweichungen im einzelnen bestehen und welche Rechtsgründe bzw. Rechtsauffassungen hierfür ausschlaggebend waren. Sofern die Abweichungen selbst sowie deren rechtliche Begründung entgegen § 91 Abs. 1 AO nicht bereits aufgrund zuvor durchgeführter Erörterungen mit dem Finanzamt bekannt sind und sich auch nicht aus dem Steuerbescheid selbst ergeben, sind zunächst die diesbezüglichen Informationen beim Finanzamt einzuholen. Erst nach Vorliegen dieser Informationen kann der Steuerberater in die eigentliche, materiell-rechtliche Prüfung der steuerrechtlichen Würdigung des betreffenden Sachverhalts [Subsumtion] durch das Finanzamt eintreten und sich mit dessen Rechtsauffassung inhaltlich auseinandersetzen.

Führt diese gedankliche Auseinandersetzung mit der Rechtsauffassung des Finanzamts, verbunden mit einer erneuten Prüfung der eigenen Rechtsauffassung, wie sie in der Steuererklärung zum Ausdruck gekommen ist, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme einschlägiger Fachliteratur und Rechtsprechung, zu dem Ergebnis, daß sich das Finanzamt im Falle eines möglichen Rechtsstreits vor dem Finanzgericht mit seiner Rechtsauffassung durchsetzen würde, so ist weiter nichts zu veranlassen. Bestehen hieran jedoch (berechtigte) Zweifel, so ist zunächst gegen den Steuerbescheid – innerhalb der genannten Einspruchsfrist – Einspruch einzulegen (§ 347 Abs. 1 Satz 1 AO). Damit dieser vom Finanzamt nicht als unbegründet zurückgewiesen wird, sollte er auch begründet werden; dies kann zusammen mit dem Einspruch erfolgen, die Begründung kann aber auch nachgereicht werden.

Keine aufschiebende Wirkung des Einspruchs – Antrag auf Aussetzung der Vollziehung

Da der Einspruch keine dilatorische Wirkung entfaltet, bleibt der angegriffene Steuerbescheid weiterhin in vollem Umfang vollziehbar (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO). Das heißt insbesondere, daß die durch den Steuerbescheid festgesetzten Steuern bei Fälligkeit entrichtet werden müssen. Um eine aufschiebende Wirkung zu erreichen, ist neben der Einspruchseinlegung zusätzlich – je nach Sachverhalt die vollständige oder teilweise – Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides beim Finanzamt zu beantragen.

Diesem Antrag wird das Finanzamt auch gemäß § 361 Abs. 2 Satz 2 AO folgen, wenn es bei summarischer Prüfung zu dem Ergebnis kommt, daß die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Steuerbescheides ernstlich zweifelhaft ist, und hierzu einen Verwaltungsakt in Form einer Aussetzungsverfügung vornehmen (§ 361 Abs. 2 Satz 1 AO). In dieser Verfügung werden insbesondere Umfang und Dauer der Aussetzung der Vollziehung festgelegt. Erst diese Verfügung hemmt die Vollziehbarkeit des Steuerbescheides in der Weise, daß die in der Aussetzungsverfügung bezifferten Steuerbeträge bis zum Ablauf der Aussetzungsfrist nicht zu entrichten sind.

Lehnt das Finanzamt jedoch die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides ganz oder teilsweise ab, so kann wegen dieser Ablehnung das Finanzgericht angerufen werden, das dann seinerseits summarisch prüft, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Kommt das Finanzgericht im Rahmen seiner Prüfung zu dem Ergebnis, daß solche Zweifel berechtigt sind, kann es selbst durch Beschluß die Aussetzung ganz oder teilweise verfügen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO). Der Beschluß ist zu begründen (§ 113 Abs. 2 Satz 2 FGO).

Das Finanzamt schließt sich der Rechtsauffassung des Steuerberaters an – Abhilfebescheid

Schließt sich das Finanzamt im Verlauf des Einspruchsverfahrens der Rechtsauffassung des Steuerberaters an, so wird es dem Einspruch „abhelfen” und einen entsprechend berichtigten Steuerbescheid erlassen. Damit ist das Vorverfahren abgeschlossen und die Angelegenheit erledigt. Dennoch ist auch der berichtigte Steuerbescheid mit der berufsüblichen Sorgfalt zu prüfen; er könnte ja wieder (neue) Fehler enthalten. Führt auch diese Prüfung zu keiner Beanstandung, so ist damit der gesamte Vorgang endgültig abgeschlossen.

Das Finanzamt schließt sich der Rechtsauffassung des Steuerberaters nicht an – Einspruchsentscheidung

Schließt sich das Finanzamt der Rechtsauffassung des Steuerberaters nur teilweise oder gar nicht an, und nimmt auch der Steuerberater den Einspruch nicht zurück (§ 362 Abs. 1 AO) oder schränkt ihn ein, so entscheidet die Finanzbehörde, die den Steuerbescheid erlassen hat, durch förmliche – also mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene, schriftliche und begründete – Einspruchsentscheidung (§§ 366, 367 AO); die Regeln für die Bekanntgabe dieser Entscheidung entsprechen denjenigen für die Bekanntgabe von Steuerbescheiden. Das Vorverfahren ist hiermit abgeschlossen.

Die Einspruchsentscheidung als Gegenstand der Prüfung durch den Steuerberater

Gegen diese Einspruchsentscheidung steht dem Mandanten der Finanzrechtsweg offen (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO), also „der Gang zum Finanzgericht”. Im Rahmen einer Anfechtungsklage kann nämlich die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Steuerbescheides sowie die Aufhebung sowohl der Einspruchsentscheidung als auch des Steuerbescheides (§ 100 Abs. 1 FGO) oder seine Änderung (§ 100 Abs. 2 FGO) beantragt werden.

Der Mandant schließt sich der Rechtsauffassung des Finanzamts an

Sofern nach eingehender Prüfung der Einspruchsentscheidung, insbesondere ihrer rechtlichen Begründung, festgestellt werden sollte, daß Erfolgsaussichten im Falle einer finanzgerichtlichen Auseinandersetzung eindeutig nicht bestehen, weil die rechtliche Argumentation des Finanzamts unmittelbar schlüssig ist, insbesondere, weil sich das Finanzamt zutreffend auf Rechtsprechung beruft, die mehr oder weniger den gleichen Sachverhalt in seinem Sinne bereits entschieden hat, und eine Änderung der Rechtsprechung auch nicht zu erwarten ist, ist die Angelegenheit an dieser Stelle erledigt.

Der Mandant schließt sich der Rechtsauffassung des Finanzamts nicht an – Klageerhebung beim Finanzgericht

In jedem anderen Fall empfiehlt es sich sehr, über den Gang zum Finanzgericht zumindest heftig nachzudenken. Mandant und Steuerberater sollten gemeinsam Chancen und Risiken eines Rechtsstreits sorgfältig gegeneinander abwägen und sodann zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen. Die Klage ist innerhalb einer Klagefrist von einem Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO) beim zuständigen Finanzgericht (§ 38 FGO) oder beim Finanzamt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 FGO) einzureichen. Sie sollte zwar zweckmäßigerweise begründet werden und zweckdienliche Beweismittel angeben; dies ist jedoch keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Auch ist das Finanzgericht nicht an das Vorbringen oder die Beweisanträge der Beteiligten gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO), das Gericht erforscht den Sachverhalt vielmehr von Amts wegen (Amts-ermittlungsgrundsatz) – § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO.

In diesem Zusammenhang ist jedoch auch wieder zu beachten, daß die Klageerhebung die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides nicht hemmt; vgl. oben. Da andererseits regelmäßig eine zuvor möglicherweise ausgesprochene Aussetzung der Vollziehung im Rahmen (oder zeitgleich mit) der Einspruchsentscheidung aufgehoben wird, ist zunächst erneut ein Aussetzungsantrag bei der Finanzbehörde zu stellen, die den betreffenden Steuerbescheid erlassen hat. Lehnt diese die Vollziehungsaussetzung ab, kann diese anschließend beim Finanzgericht beantragt werden – § 69 Abs. 3 FGO.

Zwar gilt auch in der Finanzgerichtsbarkeit der Grundsatz: „Vor Gericht und auf Hoher See befinden wir uns alle in Gottes Hand”. Ebenso gilt jedoch: Sorgfältige Recherchen im Vorfeld machen auch hier das Prozeßrisiko überschaubar.

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