BUNDESFINANZHOF














1. Hat der Steuerpflichtige eine Leistung, die er außerhalb seines Unternehmens erbracht hat, als steuerpflichtigen Umsatz behandelt, indem er sie dem Leistungsempfänger mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung gestellt hat, und hat er die Steuer erklärungsgemäß an das FA abgeführt, so verlangt der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass die zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt wird, wenn der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger rückgängig gemacht worden ist (Anschluss an EuGH-Urteil vom 19. September 2000 Rs. C-454/98, Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel, UR 2000, 470).

2. Die Berichtigung der Steuer kann im Billigkeitsverfahren gemäß § 227 AO 1977 erfolgen.


AO 1977 § 227
UStG 1991 § 14 Abs. 3
Richtlinie 77/388/EWG Art. 21 Nr. 1 Buchst. c
Urteil vom 17. Mai 2001 V R 77/99
Vorinstanz: FG Düsseldorf (DStRE 2000, 429)
Gründe

I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Landwirt und stellte im Jahr 1991 dem Erwerber eines von ihm vermittelten fremden Grundstücks eine Vermittlungsprovision in Höhe von 400 000 DM zuzüglich 56 000 DM Umsatzsteuer in Rechnung (Rechnung vom 28. Juni 1991). Die Umsatzsteuer führte er aufgrund der fristgerecht abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldung III/1991 an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ab; in Zeile 22 der Voranmeldung ist handschriftlich vermerkt: "§ 14 Abs. 3 Privatperson". Die entsprechende Umsatzsteuer-Jahresveranlagung 1991 ist bestandskräftig.

Der Leistungsempfänger zog zunächst die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer ab. Mit Steuerbescheid vom 18. Juli 1994 wurde der Vorsteuerabzug rückgängig gemacht; der Leistungsempfänger führte die aufgrund dieses Steuerbescheids festgesetzte Umsatzsteuer an das für ihn zuständige FA ab.

Der Kläger beantragte daraufhin im Juni 1996 den Erlass der Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen. Er berichtigte die von ihm ausgestellte Originalrechnung durch Abrechnungspapier vom 21. Oktober 1996 und erstattete dem Leistungsempfänger den Umsatzsteueranteil zuzüglich Zinsen.

Das FA lehnte den Erlassantrag ab (Bescheid vom 18. September 1996).

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst (DStRE) 2000, 429 veröffentlicht ist, sah in der Erhebung der Steuer keine sachliche Unbilligkeit i.S. des § 227 der Abgabenordnung (AO 1977).

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Revision.

Er rügt im Wesentlichen Verletzung materiellen Rechts und beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des Bescheids vom 18. September 1996 das FA zu verpflichten, die Umsatzsteuer für 1991 in Höhe von 56 000 DM zu erlassen.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Das FA ist verpflichtet, die Umsatzsteuer zu erstatten.

1. Der Kläger schuldete die für seine Vermittlungsleistung in Rechnung gestellte Steuer nach § 14 Abs. 3 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1991 (UStG). Nach dieser Vorschrift schuldet derjenige, der in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist, den ausgewiesenen Betrag. Der Kläger war zum gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer nicht berechtigt, da er das Grundstück nicht im Rahmen seines Unternehmens, sondern aufgrund einer privaten Gelegenheit vermittelt hat. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

2. Nach § 227 Abs. 1 AO 1977 können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.

a) Die Einziehung der nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldeten Steuer war unbillig, nachdem der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger rückgängig gemacht worden war.

Die Einziehung von Steuern kann aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig sein. Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dann anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht oder nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1998 IV R 69/97, BFHE 187, 198).

b) § 14 Abs. 3 UStG geht auf Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) zurück. Nach dieser Bestimmung schuldet "jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist", diese Steuer.

Auf Fragen des BFH, unter welchen Voraussetzungen die Berichtigung einer zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer zulässig ist, hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Urteil vom 19. September 2000 Rs. C-454/98, Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2000, 470) für Recht erkannt:

"1. Hat der Aussteller der Rechnung die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt, so verlangt der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, ohne dass eine solche Berichtigung vom guten Glauben des Ausstellers der betreffenden Rechnung abhängig gemacht werden darf.

2. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, das Verfahren festzulegen, in dem zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, wobei diese Berichtigung nicht im Ermessen der Finanzverwaltung stehen darf."

Im Streitfall hatte der Kläger --ähnlich wie der Kläger Strobel im Fall des EuGH-Urteils-- die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt, da er den in der verwendeten Rechnung gesondert ausgewiesenen Betrag an das FA entrichtet hatte. Unter diesen Umständen verlangt der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, wenn der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger rückgängig gemacht worden ist (vgl. EuGH-Urteil in UR 2000, 470 Randnr. 57 f.).

c) Die Berichtigung der Steuer kann im Billigkeitsverfahren gemäß § 227 AO 1977 erfolgen.

Dies gilt insbesondere dann, wenn --wie im Streitfall-- die unrichtige Rechnung erst später als im Jahr (Besteuerungszeitraum) der Rechnungsausgabe berichtigt wurde (BFH-Urteil vom 22. Februar 2001 V R 5/99, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2001, 790). Dabei kann dahinstehen, ob eine Berichtigung der Umsatzsteuer-Veranlagung für das Jahr 1991 (Jahr der Leistung), 1994 (Jahr der Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger) oder 1996 (Jahr der Rechnungsberichtigung) nach der zur Zeit geltenden Gesetzeslage möglich wäre oder möglich gewesen wäre.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann eine falsche Steuerfestsetzung jedenfalls dann zu einem Billigkeitserlass führen, wenn die Fehlerhaftigkeit offensichtlich und eindeutig ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (vgl. BFH-Urteile vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, BStBl II 1981, 611; vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512, und vom 17. Dezember 1997 III R 8/94, BFH/NV 1998, 935).

Nach den Grundsätzen des zitierten EuGH-Urteils in UR 2000, 470 sind im Streitfall "eindeutig und offensichtlich" die Voraussetzungen dafür gegeben, dass die Steuer berichtigt werden muss. Dem Kläger war es unzumutbar, gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1991, 1994 oder 1996 zu klagen, da die Steuerfestsetzungen --im streitigen Punkt-- dem Gesetzeswortlaut entsprechen, das EuGH-Urteil seinerzeit noch nicht ergangen war und es Aufgabe des Gesetzgebers ist, die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die ordnungsgemäße Umsetzung des EuGH-Urteils zu schaffen. Solange dies nicht geschehen ist, kann ein Steuerpflichtiger nicht darauf verwiesen werden, er müsse seine Rechte im Steuerfestsetzungsverfahren mit ungewissem Ausgang geltend machen.

d) Das FA ist demnach verpflichtet, die vom Kläger gemäß § 14 Abs. 3 UStG geschuldete und entrichtete Umsatzsteuer zu erstatten. Die Entscheidung über den Erlass ist zwar grundsätzlich eine Ermessensentscheidung der Behörde (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603) und unterliegt deshalb gemäß § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Im Streitfall ist der Ermessensspielraum aber so eingeengt, dass nur die Erstattung der vom Kläger gemäß § 14 Abs. 3 UStG entrichteten Steuer ermessensgerecht ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null).