BUNDESFINANZHOF














Eine Rechnung, in der zwar der Bruttopreis, der Steuersatz und der Umsatzsteuerbetrag, nicht aber das Entgelt ausgewiesen sind, berechtigt grundsätzlich nicht zum Vorsteuerabzug.



UStG 1980 § 14 Abs. 1 und 4, § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1
Richtlinie 77/388/EWG Art. 17 Abs. 1 und 2 Buchst. a, Art. 18 Abs. 1 Buchst. a, Art. 22 Abs. 3
Urteil vom 27. Juli 2000 V R 55/99
Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1999, 1052)

Gründe

I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, ist auf dem Gebiet der ambulanten Seniorenpflege tätig. Sie ließ ihre Pflegeleistungen vor Ort von Pflegekräften ausführen, mit denen sie "freie Mitarbeiterverträge" abgeschlossen hatte. In den Streitjahren (1988 und 1989) waren für die Klägerin ca. 400 Pflegekräfte auf der Grundlage eines Standardvertrages tätig.

Die Pflegekräfte rechneten entsprechend § 5 des Vertrages auf der Basis fester (Brutto-)Stundensätze monatlich gegenüber der Klägerin ab. Die Rechnungen sind standardisiert, wurden von der Klägerin vorbereitet und anschließend von den Pflegekräften unterschrieben. In den Rechnungen waren der Gesamtrechnungsbetrag (brutto), der Umsatzsteuersatz (14 %) sowie der Steuerbetrag, nicht aber das Entgelt angegeben. Die Rechnungen lauteten auszugsweise z.B. wie folgt:

"RECHNUNG

Für geleistete Haus- und Familienpflege im Monat Dezember 1988 stelle ich wie folgt in Rechnung:

Stunden:
43 à DM:
10,00

DM: 430,00
Nachtwachen:
3 à DM:
90,00

DM: 270,00
tgl. Fahrgeld
DM:
37,00

DM: 37,00



Gesamt
DM: 737,00



abzgl. Abschlag
DM:



Restzahlung
DM: 737,00

Der Gesamtbetrag enthält die gesetzl. MWST von 14 % in Höhe v. DM: 90,51"

Die Klägerin ging davon aus, dass es sich bei den Pflegekräften um (selbständige) Subunternehmer handle. Sie machte die in den Rechnungen gesondert ausgewiesene Mehrwertsteuer als Vorsteuerbeträge geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ in den Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre die Vorsteuerbeträge nicht zum Abzug zu. Er war der Auffassung, dass es sich bei den Pflegekräften nicht um Unternehmer, sondern um Arbeitnehmer der Klägerin gehandelt habe.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Pflegekräfte als selbständig tätige Unternehmer anzusehen seien. Es verwehrte der Klägerin aber den Vorsteuerabzug mit der Begründung, die Rechnungen enthielten nicht --wie erforderlich-- die Angabe des Entgelts. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 1052 teilweise abgedruckt.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie macht im Wesentlichen geltend, es gebe keinen Anlass, für den Vorsteuerabzug neben der Angabe des (Brutto-) Preises, der Umsatzsteuer und des Steuersatzes zusätzlich noch die Angabe des (Netto-)Entgeltes zu verlangen.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Umsatzsteuerbescheid 1988 aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 1989 dahin gehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf 91 652,70 DM festgesetzt wird.

Das FA tritt der Revision entgegen.

II.
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass im Streitfall der von der Klägerin geltend gemachte Vorsteuerabzug (jedenfalls) deshalb ausgeschlossen ist, weil in den Rechnungen der Pflegekräfte das Entgelt nicht ausgewiesen ist.

1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 kann der Unternehmer (Leistungsempfänger) die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbetrag abziehen. Rechnung ist jede Urkunde, mit der ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter über eine Lieferung oder sonstige Leistung gegenüber dem Leistungsempfänger abrechnet, gleichgültig, wie diese Urkunde im Geschäftsverkehr bezeichnet wird (§ 14 Abs. 4 UStG).

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) knüpft § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG mit den Worten "Rechnungen im Sinne des § 14" an die Regelung der Rechnung in § 14 Abs. 4 UStG, nicht an diejenige in § 14 Abs. 1 UStG, an (vgl. BFH-Urteil vom 24. September 1987 V R 50/85, BFHE 153, 65, BStBl II 1988, 688). Deshalb braucht eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht sämtliche der in § 14 Abs. 1 UStG aufgeführten Merkmale aufweisen.

Allerdings muss eine Rechnung i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG i.V.m. § 14 Abs. 4 UStG jedenfalls das umsatzsteuerrechtliche Entgelt (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 UStG) als Grundlage für den gesondert ausgewiesenen Steuerbetrag (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 UStG) enthalten. Die Angabe des Entgelts ist notwendig, um entsprechend der Rechnungsfunktion die verschiedenen Kostenelemente des Preises der Gegenstände und sonstigen Leistungen und damit die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG zu belegen (vgl. BFH-Urteil vom 27. Januar 1994 V R 113/91, BFHE 173, 466, BStBl II 1994, 342, m.w.N.).

Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass das soeben bezeichnete Senatsurteil zum Anwendungsbereich des § 14 Abs. 3 UStG 1973 (entsprechend § 14 Abs. 3 UStG 1980) im Fall einer Inanspruchnahme eines Rechnungsausstellers wegen unberechtigten Steuerausweises ergangen ist. Das Urteil knüpft aber --wie in der Entscheidung dargelegt wird-- an den allgemeinen Rechnungsbegriff (jetzt § 14 Abs. 4 UStG) an und hat deshalb ebenfalls Bedeutung für die Anforderungen an eine Rechnung i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH gilt der allgemeine Rechnungsbegriff des § 14 Abs. 4 UStG sowohl für die Anwendung des § 14 Abs. 3 UStG als auch im Hinblick auf den Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG (vgl. BFH-Urteil vom 1. August 1996 V R 9/96, BFH/NV 1997, 381, m.w.N.).

b) Dass der Vorsteuerabzug mithin nur aus einer Rechnung vorgenommen werden kann, in der das Entgelt ausgewiesen ist, folgt insbesondere aus den einschlägigen Regelungen der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Diese gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen sind im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 2. April 1998 V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, unter II. 3. b, bb).

aa) Nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG muss der Steuerpflichtige, um die Mehrwertsteuer abziehen zu können, die er für Gegenstände und Dienstleistungen schuldet oder entrichtet hat, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen erbracht wurden oder werden, eine gemäß Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG ausgestellte Rechnung besitzen. Nach Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG muss die Rechnung getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen (Buchst. b); die Mitgliedstaaten legen die Kriterien fest, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann (Buchst. c).

bb) Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG regelt die Ausstellung der Rechnung "verbindlich" (vgl. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 5. Dezember 1996 Rs. C-85/95, Reisdorf, Slg. 1996, I-6257, Rdnr. 21). Indem eine Rechnung gemäß Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG "getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen" muss, sind "Mindestanforderungen" an die Angaben festgelegt worden, die "zwingend" in der Rechnung oder dem an ihre Stelle tretenden Dokument enthalten sein müssen (vgl. EuGH-Urteil vom 17. September 1997 Rs. C-141/96, Langhorst, Slg. 1997, I-5073, 5085, Rdnrn. 16, 17).

Die Mitgliedstaaten können zwar nach Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden. Sie können deshalb verlangen, dass die Rechnungen zusätzliche Angaben enthalten, sofern diese Angaben nicht durch ihre Zahl oder ihre technische Kompliziertheit die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Juli 1988 Rs. 123, 330/87, Jeunehomme, Slg. 1988, 4517, Rdnrn. 16 und 17). Eine Befugnis, von den in Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG aufgeführten Mindestanforderungen abzusehen, ergibt sich daraus aber nicht. Dasselbe gilt für die den Mitgliedstaaten durch Art. 22 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG verliehenen Befugnis zur Festlegung der Kriterien, nach denen andere Dokumente als die Originalrechnung an die Stelle der Rechnung treten können.

c) Schon deshalb kann sich die Klägerin mit ihrer Revision nicht mit Erfolg auf Abschn. 202 Abs. 4 Satz 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) 1988/2000 berufen. Danach kann der Vorsteuerabzug auch vorgenommen werden, wenn der Rechnungsaussteller in der Rechnung Entgelt und Steuerbetrag in einer Summe (Bruttobetrag) angegeben und zusätzlich den Steuerbetrag vermerkt hat.

Im Übrigen handelt es sich bei Abschn. 202 Abs. 4 Satz 2 UStR 1988/2000 nicht um eine Rechtsnorm, sondern um eine Verwaltungsvorschrift, mit deren Hilfe nur eine gleichmäßige Gesetzesanwendung durch die Verwaltungsbehörden erreicht, nicht aber eine Bindung im Sinne einer Rechtsverordnung erzielt werden kann und soll (vgl. z.B. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 1988 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214, 227). Im Streitfall ist dieser Gesetzesauslegung nicht zu folgen, weil sie --wie dargelegt-- insbesondere gegen Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG verstößt.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann einer solchen Verwaltungsanweisung grundsätzlich auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht die gleiche Wirkung beigemessen werden wie einer Rechtsnorm oder einer verbindlichen Zusage für den Einzelfall (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. Oktober 1980 VIII R 34/76, BFHE 132, 41, BStBl II 1981, 161, unter II. 2. c, m.w.N.). Die Verwaltungsbehörden werden allerdings prüfen müssen, ob --unabhängig von der Möglichkeit einer Rechnungsberichtigung-- aus Billigkeitsgründen eine Übergangsregelung erforderlich ist. Im vorliegenden Verfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen geht, ist für derartige Billigkeitsüberlegungen freilich kein Raum; sie müssten einem gesonderten Billigkeitsverfahren vorbehalten bleiben (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30. März 1995 V R 22/94, BFHE 177, 545, BStBl II 1995, 567, unter II. 4.).

2. In den der Klägerin ausgestellten Rechnungen des Pflegepersonals ist zwar der Gesamtrechnungsbetrag (brutto), der Umsatzsteuersatz sowie der Steuerbetrag ausgewiesen, nicht aber das Entgelt. Da diese --nach dem Vorstehenden zwingende-- Angabe fehlt, kommt ein Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen nicht in Betracht. Dass das Entgelt aufgrund der übrigen Angaben in der Rechnung errechnet werden kann, genügt den dargelegten Anforderungen nicht (vgl. Hundt-Esswein in Offerhaus/Söhn/Lange, Umsatzsteuergesetz, § 15 Rz. 110; Forgách in Reiß/Kraeusel/ Langer, Umsatzsteuergesetz, § 15 Rz. 187; a.A. Wagner in Sölch/ Ringleb, UStG-Mehrwertsteuer, Kommentar, § 14 Rz. 59; Cissée in Bunjes/Geist, Umsatzsteuergesetz, 6. Aufl., § 15 Rz. 18). Das "Entgelt" (§ 14 Abs. 1 Nr. 5 UStG) bzw. der "Preis ohne Steuer" (§ 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG) muss sich vielmehr "auf den ersten Blick" aus der Rechnung ergeben.

3. Scheitert der Vorsteuerabzug im Streitfall mithin an ordnungsgemäßen Rechnungen, kann offen bleiben, ob der Senat der Auffassung des FG folgen könnte, dass es sich bei den Pflegekräften um (selbständige) Unternehmer und nicht in Wirklichkeit um Arbeitnehmer der Klägerin ("Scheinselbständige") gehandelt hat.