BUNDESFINANZHOF
Der
Unternehmer kann sich für den Vorsteuerabzug aus Kosten für Reisen
seines Personals, soweit es sich um Übernachtungskosten handelt,
unmittelbar auf Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen. Der
Ausschluss dieser Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht nach § 15
Abs. 1 a Nr. 2 UStG ist insoweit
unanwendbar.
UStG 1999 § 3 Abs. 9 a Satz
1 Nr. 2, § 15 Abs. 1 a Nr. 2
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Urteil vom 23. November 2000 V R
49/00
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Vorinstanz: FG Hamburg (EFG 2000,
1150)
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Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) machte in ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen für April und
Mai 1999 den Vorsteuerabzug aus "belegmäßig nachgewiesenen
Reisekosten der Arbeitnehmer für Übernachtung" in Höhe von
1 825,93 DM (für April) und von 2 504,73 DM (für
Mai) geltend. Sie hatte dies in einer Anlage zu den Voranmeldungen mitgeteilt
und erläutert, dass ein Vorsteuerabzugsverbot ihrer Meinung nach gegen
Art. 17 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) verstoße. Die
bezeichneten Übernachtungskosten hatte die Klägerin bezahlt. Sie waren
überwiegend ihr und in einigen Fällen ihren Arbeitnehmern berechnet
worden.
Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte die
Umsatzsteuer-Vorauszahlungen in den Bescheiden für April und Mai 1999 ohne
die erwähnten Vorsteuerbeträge fest und wies die dagegen eingelegten
Einsprüche als unbegründet zurück, weil ein Vorsteuerabzug
für Reisekosten ab 1. April 1999 nach § 15
Abs. 1 a Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG)
ausgeschlossen sei, soweit es sich um Übernachtungskosten handele. Dies
entspreche der Konzeption der Richtlinie 77/388/EWG. Es sei zweifelhaft, ob sich
die Klägerin auf die sog. Stillstandklausel in Art. 17 Abs. 6 der
Richtlinie 77/388/EWG berufen
könne.
Die Klage hatte
überwiegend Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Entscheidung in der
Umsatzsteuer-Rundschau (UR) 2000, 438 veröffentlicht worden ist,
führte u.a. zur Begründung aus, die Klägerin erfülle die
Voraussetzungen von § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG,
soweit sie aus Rechnungen, in denen sie als Leistungsempfängerin bezeichnet
worden sei, Vorsteuerbeträge abziehe, die auf Aufwendungen wegen der
Übernachtung ihrer Arbeitnehmer bei Dienstreisen entfielen. Der Ausschluss
der Reisekosten vom Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 a
Nr. 2 UStG sei mit Art. 17 Abs. 2 und Abs. 6 der Richtlinie
77/388/EWG nicht vereinbar. Insoweit sei die Vorschrift
unanwendbar.
Nur soweit in den
Rechnungen über Übernachtungsleistungen statt der Klägerin einer
ihrer Arbeitnehmer als Leistungsempfänger bezeichnet worden war, wies das
FG die Klage ab.
Mit der Revision
rügt das FA Verletzung von § 15 Abs. 1 a Nr. 2
UStG. Die Vorschrift verstoße, so führt das FA zur Begründung
u.a. aus, nicht gegen die Richtlinie 77/388/EWG. Der von dieser Richtlinie
geforderte direkte Zusammenhang zwischen den in Anspruch genommenen und den
ausgeführten unternehmerischen Leistungen sei nicht gegeben. Der
Vorsteuerabzug sei auch deshalb nicht gegeben, weil sich bei Reisekosten des
Unternehmers unternehmerische und private Interessen überschnitten. Der
Ausschluss vom Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 a Nr. 2
UStG stehe nicht im Widerspruch zu Sinn und Zweck der Richtlinie 77/388/EWG.
Vorsteuerabzugs-Ausschlüsse und -Beschränkungen seien in den meisten
Mitgliedstaaten vorhanden. Die EG-Kommission habe vorgeschlagen, den
Vorsteuerabzug aus Reisekosten auf 50 v.H. zu begrenzen (Vorschlag der
Kommission für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG
bezüglich des Vorsteuerabzugs, Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften --ABlEG-- 1998, Nr. C 219/16 vom 15. Juli 1998,
BRDrucks 668/98).
Das FA
beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin ist
der Revision entgegengetreten.
II.
Die Revision ist unbegründet. Die
Vorentscheidung hält den Revisionsangriffen
stand.
1. Nach § 15
Abs. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des
§ 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder
sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen
ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge
abziehen.
Diese Voraussetzungen sind
erfüllt, wenn ein Unternehmer im eigenen Namen von einem anderen
Unternehmer Übernachtungsleistungen bestellt, damit seine Arbeitnehmer bei
einer Reise für Zwecke des Unternehmens übernachten können, und
darüber in einer Rechnung i.S. des § 14 Abs. 4 UStG
gegenüber dem Unternehmer abgerechnet
wird.
Dass die Klägerin von
Hotelunternehmern Übernachtungsleistungen umsatzsteuerrechtlich empfangen
hat, ergibt sich aus den unstreitig gegebenen zivilrechtlichen Beziehungen.
Leistungsempfänger ist nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) grundsätzlich derjenige, der aus dem der Leistung
zugrunde liegenden Schuldverhältnis als Auftraggeber berechtigt und
verpflichtet ist (vgl. BFH-Urteile vom 24. Juni 1999 V R 99/98,
BFH/NV 1999, 1648; vom 16. Mai 1995 XI R 50/93, BFH/NV 1996, 185;
vom 1. Juni 1989 V R 72/84, BFHE 157, 255, BStBl II 1989, 677).
Die Klägerin konnte zivilrechtlich die Übernachtungsleistung
beanspruchen und war zur Zahlung des Übernachtungspreises verpflichtet.
Diese Verpflichtungen sind auch vertragsgemäß erfüllt worden.
Die Klägerin bleibt Leistungsempfängerin, auch wenn sie die
Übernachtungsmöglichkeiten tatsächlich ihren Arbeitnehmern
einräumte (vgl. dazu auch Urteil des Gerichtshofes der Europäischen
Gemeinschaften --EuGH-- vom 8. März 1988 Rs. 165/86 - Intiem,
Slg. 1988, 1471, UR 1989, 190
Rdnr. 14).
Die Klägerin
hat die Übernachtungsleistungen auch für ihr Unternehmen empfangen,
weil sie sie bei Auswärtstätigkeiten ihrer Arbeitnehmer beansprucht
hat, die für Zwecke ihres Unternehmens ausgeführt wurden. Der
erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen den von der Klägerin
bezogenen Übernachtungsleistungen und ihren Ausgangsleistungen ist
vorhanden, weil die Aufwendungen dafür zu den Kostenelementen ihrer
besteuerten Umsätze zählen (vgl. dazu Urteile des EuGH vom
8. Juni 2000 Rs. C-98/98 - Midland Bank, UR 2000, 342 Rdnr. 30;
vom 6. Juli 1995 Rs. C-62/93 - BP Soupergaz, Slg. 1995, I-1883, UR
1995, 404 Rdnr. 19).
Dass dem
Unternehmer der Vorsteuerabzug aus Rechnungen für die Überlassung von
Hotelzimmern zusteht, die er Arbeitnehmern zur Übernachtung bei
Auswärtstätigkeiten zur Verfügung stellt, entspricht schon der
bisherigen Rechtsprechung des Senats (BFH-Urteil vom 21. Juli 1994
V R 21/92, BFHE 175, 169, BStBl II 1994, 881 zu IV.). Da in solchen
Fällen die Erfordernisse des Unternehmens es gebieten, dass der Arbeitgeber
die (auswärtige) Übernachtung seiner Arbeitnehmer sicherstellt,
erfolgt die Organisation der Übernachtung nicht zu unternehmensfremden
Zwecken. Ein persönlicher Vorteil, den der Arbeitnehmer dadurch haben
könnte, ist gegenüber dem Bedarf des Unternehmens nebensächlich
(vgl. EuGH-Urteil vom 16. Oktober 1997 Rs. C-258/95 - Fillibeck, Slg.
1997, I-5577, UR 1998, 61, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 1997,
430).
Eine Überschneidung von
unternehmerischen und privaten Interessen (so die Begründungen zu
Art. 8 Nr. 8 Buchst. b Nr. 2 BTDrucks 14/23,
S. 198, und zu Art. 7 Nr. 11 Buchst. b BTDrucks 14/443,
S. 38, 39 - jeweils zum Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002) spielt somit keine Rolle, wenn der Arbeitgeber die
Übernachtung der Arbeitnehmer --aufgrund der besonderen Umstände-- bei
einer auswärtigen Tätigkeit für das Unternehmen
übernimmt.
2. Der Ausschluss
des Rechts auf Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 a
Nr. 2 UStG greift nicht
durch.
a) Zwar sind nach
§ 15 Abs. 1 a Nr. 2 UStG Vorsteuerbeträge nicht
abziehbar, die auf Reisekosten des Unternehmers und seines Personals entfallen,
soweit es sich u.a. um Übernachtungskosten
handelt.
Diese Voraussetzungen sind
im Streitfall erfüllt. Nicht abziehbar sind danach auch
Vorsteuerbeträge, die auf Übernachtungskosten bei Dienstreisen des
Personals entfallen.
b) Die
Vorschrift ist aber --soweit sie den Vorsteuerabzug für Reisekosten in Form
von Übernachtungskosten ausschließt-- nicht anwendbar. Sie ist
insoweit mit Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG
unvereinbar.
aa) Nach Art. 17
Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ist der Steuerpflichtige
befugt, soweit Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze
verwendet werden, von der von ihm geschuldeten Steuer die im Inland geschuldete
Mehrwertsteuer für Dienstleistungen abzuziehen, die ihm von anderen
Steuerpflichtigen erbracht wurden oder erbracht
werden.
Nach ständiger
Rechtsprechung des EuGH kann das Recht auf Vorsteuerabzug wegen seiner Bedeutung
für das System der Mehrwertsteuer grundsätzlich nicht
eingeschränkt werden (EuGH-Urteil vom 19. September 2000
Rs. C-177/99 - Ampafrance, Rs. C-181/99 - Sanofi Synthelabo, UR 2000,
474 Rdnr. 61, 62). Ausnahmen sind nur zugelassen, wenn sie in der
Richtlinie 77/388/EWG selbst vorgesehen sind (EuGH-Urteil in Slg. 1995, I-1883,
UR 1995, 404 Rdnr. 18).
bb)
Für die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) besteht eine solche
Ausnahme nicht.
Nach Art. 17
Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG hätte ein Ausschluss
der Reisekosten vom Recht auf Vorsteuerabzug beibehalten werden können,
wenn er zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinienbestimmungen in den
innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen gewesen wäre (sog.
Stillstandklausel). Das Umsatzsteuergesetz enthielt den erwähnten
Vorsteuerausschluss weder im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch im Zeitpunkt, in
dem Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG umzusetzen war. Vielmehr bestanden
--im Gegenteil-- Vereinfachungsvorschriften, die dem Vorsteuerabzug aus
Reisekosten ausdrücklich zuließen (§ 15 Abs. 8
Nr. 1 UStG 1973, §§ 8 Abs. 1, 8 a der Ersten
Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes vom 26. Juli
1967, BGBl I, 801 bzw. § 15 Abs. 8 Nr. 4 UStG 1980,
§§ 36 bis 38 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung
--UStDV-- 1980).
Der nach
Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG
mögliche Ausschluss der Ausgaben, die keinen streng geschäftlichen
Charakter haben, vom Vorsteuerabzugsrecht ist von einer Änderung der
bezeichneten Richtlinie abhängig. Eine Änderungsrichtlinie ist aber
bisher nicht beschlossen worden. Es kann deshalb offen bleiben, inwieweit die
hier gegebenen Übernachtungskosten von Art. 17 Abs. 6
Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG erfasst
werden.
Schließlich ist der
Vorsteuerausschluss für Reisekosten, die auf Übernachtungskosten
entfallen, auch nicht nach Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG
als abweichende Sondermaßnahme zur Vereinfachung der Steuererhebung oder
zur Verhütung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zugelassen. Die
dazu notwendige Ermächtigung des Rates ist nicht beantragt und daher auch
nicht erteilt worden. Die Entscheidung des Rates 2000/186/EG vom
28. Februar 2000 (ABlEG 2000, Nr. L 59 S. 12) enthält
keine Ermächtigung für einen Vorsteuerausschluss für die in
§ 15 Abs. 1 a Nr. 2 UStG aufgezählten
Reisekosten.
c) Die Klägerin
kann sich wegen der Unvereinbarkeit des Ausschlusses der Reisekosten, die auf
Übernachtungskosten entfallen, vom Vorsteuerabzugsrecht durch
§ 15 Abs. 1 a Nr. 2 UStG auf das ihr günstigere
Gemeinschaftsrecht (Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie
77/388/EWG) berufen (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1995, I-1883, UR 1995,
404).
3. Eine Vorlage an den EuGH
nach Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft (EGV) ist nicht geboten, weil keine Zweifel an der Auslegung des
für die Entscheidung im Streitfall einschlägigen Gemeinschaftsrechts
bestehen. Vielmehr geht die Entscheidung von den durch den EuGH geklärten
Auslegungsgrundsätzen aus.
4.
Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist nicht erforderlich,
weil der Senat § 15 Abs. 1 a Nr. 2 UStG nicht für
verfassungswidrig (Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--,
§ 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG--)
hält. Der Senat übt mit der (teilweisen) Nichtanwendung des
§ 15 Abs. 1 a Nr. 2 UStG lediglich die vom BVerfG
für verfassungskonform beurteilte Befugnis zur vorrangigen Anwendung des
Gemeinschaftsrechts gegenüber unzutreffend umgesetztem innerstaatlichem
Recht aus (BVerfG-Beschluss vom 8. April 1987 2 BvR 687/85,
Neue Juristische Wochenschrift 1988, 1459). Da die Richtlinie 77/388/EWG durch
die Zustimmung der Bundesrepublik zu den Gemeinschaftsverträgen Bestandteil
des Bundesrechts ist und unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen
erzeugen kann, besteht auch keine Notwendigkeit einer Vorlage nach Art. 100
Abs. 2 GG i.V.m. Art. 25 GG und mit § 83 BVerfGG (vgl. dazu
Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung,
10. Aufl., § 33 FGO Rz. 371, m.w.N.).