BUNDESFINANZHOF
1.
Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 15 UStG gilt als
(vorsteuerabzugsberechtigter) Unternehmer bereits, wer die durch objektive
Anhaltspunkte belegte Absicht hat, eine unternehmerische Tätigkeit
auszuüben und erste Investitionsausgaben für diesen Zweck
tätigt.
2.
Leistet der Unternehmer für die Lieferung von Gegenständen oder eine
Dienstleistung eine Anzahlung, bevor die angezahlte Leistung an ihn bewirkt ist,
so ist für den Vorsteuerabzug auf seine Verwendungsabsicht im Zeitpunkt der
Anzahlung
abzustellen.
3. Ist
eine Grundstücksvermietung beabsichtigt, kommt es darauf an, ob der
Unternehmer das Grundstück steuerfrei vermieten oder auf die Steuerfreiheit
der Grundstücksvermietung (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG)
gemäß § 9 UStG verzichten will. Im erstgenannten Fall ist
der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG
ausgeschlossen, im letztgenannten Falle nicht.
UStG 1991/1993 § 4 Nr. 12
Buchst. a, § 15,
§ 17 Richtlinie
77/388/EWG Art. 10 Abs. 2, Art. 17
|
Urteil vom 17. Mai 2001 V R
38/00
|
Vorinstanz: FG Nürnberg (EFG
2000, 1283)
|
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin
(Klägerin) kaufte mit notariell beurkundetem Bauträgervertrag vom
21. Dezember 1995 von V einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück
in W mit einer noch zu errichtenden Gewerbeeinheit zum Preis von ... DM
zzgl. ... DM
Umsatzsteuer.
Mit Rechnung vom
22. Dezember 1995 forderte V eine Kaufpreisrate von ... DM zzgl.
... DM Umsatzsteuer an, die die Klägerin noch im Streitjahr 1995
entrichtete. Die Umsatzsteuer (Vorsteuer) wurde mit Abtretungsanzeige vom
10. Januar 1996 zugunsten von V an das Finanzamt
abgetreten.
Im Jahre 1997 teilte
V der Klägerin mit, dass sie das Gebäude nicht errichten könne.
Aufgrund einer Bürgschaft der Bank in Z erhielt die Klägerin die
Netto-Kaufpreisrate (ohne Umsatzsteuer) von dieser
zurück.
In ihrer
Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 1995 hatte die Klägerin
gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) die
Vorsteuer aus der Kaufpreisrate geltend gemacht, da sie die Gewerberäume
steuerpflichtig vermieten wolle. Das FA folgte dem zunächst, setzte aber
letztlich die Jahresumsatzsteuer für 1995 auf 0 DM fest
(Änderungsbescheid vom 28. Oktober
1998).
Einspruch und Klage gegen
den Steuerbescheid für 1995 hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG),
dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1283
veröffentlicht ist, war der Auffassung, mangels tatsächlicher
Ausführung der Vermietungsumsätze habe die Klägerin nicht auf
ihre Steuerfreiheit verzichten können; in den Fällen der
Vorlagebeschlüsse des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. August 1998
V R 18/97, Breitsohl (BFHE 186, 475) und vom 27. August 1998
V R 77/96, Schloßstraße (BFHE 186, 468) hätten die
Unternehmer jeweils tatsächliche Leistungen erhalten. Hieran fehle es im
Streitfall.
Mit der Revision
rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie meint, die
Vorentscheidung sei mit den zwischenzeitlich ergangenen Urteilen des
Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 8. Juni 2000
Rs. C-396/98, Schloßstraße (Umsatzsteuer- und
Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 2000, 308, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2000,
336 mit Anm. Widmann) und Rs. C-400/98, Breitsohl (UVR 2000, 302, UR
2000, 329 mit Anm. Widmann) unvereinbar; ihr stehe der Vorsteuerabzug in
Höhe von ... DM zu, da sie beabsichtigt habe, die Gewerberäume
steuerpflichtig zu
vermieten.
Die Klägerin
beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Vorsteuerabzug
anzuerkennen.
Das FA ist der
Revision entgegengetreten.
II.
Die Revision der Klägerin ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das
FG.
1. Nach § 15
Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) kann der Unternehmer
die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer
für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern
für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge
abziehen. Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor
Ausführung dieser Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar,
wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist (§ 15
Abs. 1 Nr. 1 Satz 2
UStG).
Die Klägerin war
Unternehmerin. Wie der BFH im Anschluss an das EuGH-Urteil Breitsohl (in UR
2000, 329, UVR 2000, 302) entschieden hat, gilt bei richtlinienkonformer
Auslegung des § 15 UStG als (vorsteuerabzugsberechtigter) Unternehmer
bereits, wer die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, eine
unternehmerische Tätigkeit auszuüben und erste Investitionsausgaben
für diesen Zweck tätigt (BFH-Urteil vom 8. März 2001
V R 24/98, UR 2001,
214).
Die Klägerin hat mit
der Anzahlung auf den Kaufpreis eine derartige Investition getätigt. Sie
hatte die Absicht, mit den Gewerberäumen eine unternehmerische
Tätigkeit
auszuüben.
Da eine Rechnung
für die Anzahlung vorlag und diese geleistet worden war, waren auch die
Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG
für den begehrten Vorsteuerabzug
gegeben.
2. Nach § 15
Abs. 2 Nr. 1 UStG ist aber die Steuer für die Lieferung von
Gegenständen sowie für die sonstigen Leistungen, die der Unternehmer
zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet, vom Vorsteuerabzug
ausgeschlossen.
Im Streitfall
ist es zur Lieferung der Gewerberäume und zu ihrer Verwendung zur
Ausführung von Umsätzen nicht
gekommen.
In Fällen, in
denen es beim Empfänger einer Leistung nicht mehr zu der beabsichtigten
Verwendung kommt, ist nach der Rechtsprechung des EuGH und der neueren
Rechtsprechung des BFH auf die Verwendungsabsicht abzustellen, die der
Unternehmer im Zeitpunkt des Leistungsbezugs hatte. Entscheidend ist, dass zu
diesem Zeitpunkt gemäß Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 10
Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) das Recht auf Vorsteuerabzug
entsteht. Nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich der BFH angeschlossen hat,
müssen deshalb auch zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für den
Vorsteuerabzug erfüllt sein (vgl. BFH-Urteil in UR 2001,
214).
Werden Anzahlungen
geleistet, bevor die Lieferung von Gegenständen oder die Dienstleistung
bewirkt ist, so entsteht der Steueranspruch zum Zeitpunkt der Vereinnahmung
entsprechend dem vereinnahmten Betrag (Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2
der Richtlinie 77/388/EWG, vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. a Satz 4 UStG). Zu diesem Zeitpunkt entsteht auch das Recht
auf Vorsteuerabzug (Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie
77/388/EWG).
Demnach ist dann,
wenn der Unternehmer Anzahlungen geleistet hat, bevor die Lieferung von
Gegenständen oder die Dienstleistung an ihn bewirkt ist, auf seine
Verwendungsabsicht im Zeitpunkt der Anzahlung abzustellen. Ist eine
Grundstücksvermietung beabsichtigt, kommt es darauf an, ob der Unternehmer
das Grundstück steuerfrei vermieten oder auf die Steuerfreiheit der
Grundstücksvermietung (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG)
gemäß § 9 UStG verzichten will. Im erstgenannten Fall ist
der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG
ausgeschlossen, im letztgenannten Falle nicht (vgl. EuGH-Urteil
Schloßstraße in UR 2000, 336, und BFH-Urteil in UR 2001,
214).
Erhält der
Steuerpflichtige aufgrund seiner Absicht, die angezahlte Eingangsleistung
für einen steuerpflichtigen Ausgangsumsatz zu verwenden, im Jahr der
Anzahlung den Vorsteuerabzug und wird die Anzahlung --wie im Streitfall--
später zurückerstattet, ist der Vorsteuerabzug im Jahr der
Rückerstattung gemäß § 17 UStG zu
berichtigen.
Da das FG von
anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung
aufzuheben.
3. Der Senat kann in
der Sache nicht selbst entscheiden. Die Sache war deshalb gemäß
§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das FG
zurückzuverweisen.
Bei der
Frage, welche Verwendungsabsicht der Unternehmer hatte, ist nämlich zu
prüfen, ob seine Erklärung, zu besteuerten Umsätzen führende
wirtschaftliche Tätigkeiten aufnehmen zu wollen, in gutem Glauben abgegeben
worden ist und durch objektive Anhaltspunkte belegt wird (vgl. insbes.
Rdnr. 41 des EuGH-Urteils Schloßstraße in UVR 2000, 308,
UR 2000, 336, und Rdnr. 40 des EuGH-Urteils Breitsohl in UVR 2000, 302, UR
2000, 329, sowie BFH-Urteil in UR 2001,
214).
Diese Prüfung hat das
FG aufgrund seiner abweichenden Rechtsauffassung bislang unterlassen. Es
erhält Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen
nachzuholen.