BUNDESFINANZHOF
Dem
EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
1. Ist
Art. 2 der Entscheidung des Rates vom 28. Februar 2000 (2000/186/EG) zur
Ermächtigung der Bundesrepublik Deutschland, von den Art. 6 und 17 der
Richtlinie 77/388/EWG abweichende Regelungen einzuführen, ungültig,
weil das der Entscheidung vorangegangene Verfahren nicht den Vorgaben des
Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG
entspricht?
2. Ist
Art. 3 Abs. 1 der Entscheidung 2000/186/EG, wonach die Entscheidung
auf den 1. April 1999 zurückwirkt,
gültig?
3.
Entspricht Art. 2 der Entscheidung 2000/186/EG den inhaltlichen
Anforderungen, die an eine derartige Ermächtigung zu stellen sind, und
ergeben sich hieraus Bedenken gegen die Gültigkeit dieser
Vorschrift?
UStG 1999 § 15 Abs. 1 b,
§ 27
Abs. 3 Richtlinie
77/388/EWG Art. 17 Abs. 2, Art. 27
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Beschluss vom 30. November 2000 V
R 30/00
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Vorinstanz: Niedersächsisches
FG
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Gründe
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) betreibt ein Malerunternehmen. Im April 1999 erwarb er einen PKW
zum Preis von 55 086,21 DM zuzüglich 16 v.H. Umsatzsteuer in
Höhe von 8 813,79 DM. Er ordnete diesen PKW seinem Unternehmen zu
und nutzte ihn zu 70 v.H. für unternehmerische und zu 30 v.H.
für unternehmensfremde
Zwecke.
In seiner
Umsatzsteuer-Voranmeldung für April 1999 machte der Kläger die gesamte
Umsatzsteuer aus dem Kauf des PKW als Vorsteuer geltend. Der Kläger ist der
Auffassung, die ab 1. April 1999 geltende Neuregelung des § 15
Abs. 1 b des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) verstoße gegen
Gemeinschaftsrecht. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--)
berücksichtigte im Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für April 1999
unter Hinweis auf § 15 Abs. 1 b UStG nur 50 v.H. der
Vorsteuerbeträge als
abziehbar.
Das Finanzgericht (FG)
gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Es führte im
Wesentlichen aus, der Kläger könne sich auf die für ihn
günstigere Regelung in Art. 17 der Sechsten Richtlinie des Rates vom
17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) berufen; die
Beschränkungen des Vorsteuerabzugs widersprächen Gemeinschaftsrecht,
wenn --wie hier-- Beschränkungen dieses Inhalts weder vor In-Kraft-Treten
der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehen gewesen seien, noch --im Zeitpunkt der
Entscheidung des FG am 10. Februar 2000-- gemäß Art. 27
Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG eine entsprechende Ermächtigung zu
deren Erlass vorliege.
Mit der
Revision rügt das FA Verletzung von § 15 Abs. 1 b UStG.
Es weist darauf hin, dass am 28. Februar 2000 --2000/186/EG-- (Amtsblatt
der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 2000 Nr. L 59, 12) der
Rat die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) gemäß
Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG mit Wirkung ab 1. April 1999
ermächtigt habe, den Abzug der Mehrwertsteuer auf die Gesamtausgaben
für Fahrzeuge, die nicht ausschließlich für betriebliche Zwecke
genutzt werden, auf 50 v.H. zu beschränken, soweit die Fahrzeuge --wie
im Streitfall der vom Kläger angeschaffte PKW-- weder Umlaufvermögen
des Steuerpflichtigen darstellen noch höchstens bis zu 5 v.H. für
private Zwecke genutzt werde.
Das FA
beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger tritt
der Revision entgegen.
II.
Der Senat legt dem Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die im Tenor bezeichneten Rechtsfragen
zur Auslegung des Gemeinschaftsrechtes vor und setzt das Verfahren
gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zur
Entscheidung des EuGH aus.
1. Zur
Rechtslage nach deutschem
Recht:
§ 15
Abs. 1 Nr. 1 UStG
lautet:
"Der Unternehmer kann die
folgenden Vorsteuerbeträge
abziehen:
1. die in Rechnungen i.S. des
§ 14 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige
Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen
ausgeführt worden sind."
Durch
das Steuerentlastungsgesetz (StEntlG) 1999/2000/2002 vom 24. März 1999
(BGBl I 1999, 402) wurde folgende Neuregelung
eingeführt:
§ 15
Abs. 1 b UStG
bestimmt:
"Nur zu 50 v.H.
abziehbar sind Vorsteuerbeträge, die auf die Anschaffung oder Herstellung,
die Einfuhr, den innergemeinschaftlichen Erwerb, die Miete oder den Betrieb von
Fahrzeugen i.S. des § 1b Abs. 2 entfallen, die auch für den
privaten Bedarf des Unternehmers oder für andere unternehmensfremde Zwecke
verwendet werden."
Fahrzeuge i.S.
des § 1b Abs. 2 UStG sind nicht nur --näher beschriebene--
PKW, sondern auch Wasser- und
Luftfahrzeuge.
§ 27
Abs. 3 UStG sieht
vor:
"§ 15 Abs. 1b
UStG und § 15a Abs.3 Nr.2 sind erstmals auf Fahrzeuge anzuwenden, die
nach dem 31. März 1999 angeschafft oder hergestellt, eingeführt,
innergemeinschaftlich erworben oder gemietet
werden."
Im Streitfall lagen die
Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 b i.V.m. § 27
Abs. 3 UStG vor. Da der Kläger im Streitfall das Fahrzeug zu
70 v.H. für unternehmerische Zwecke genutzt hat, ist der Abzug der auf
die Anschaffung entfallenden Vorsteuer auf 50 v.H. des Betrages
beschränkt, weil der Kläger das Fahrzeug nach dem 31. März
1999 angeschafft hat.
Der Senat hat
aber Zweifel, ob § 15 Abs. 1 b UStG anzuwenden ist oder ob
sich der Kläger für den Anspruch auf vollen Vorsteuerabzug auf
Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann, weil er das
Fahrzeug insgesamt seinem Unternehmen zugeordnet
hat.
2. Die Rechtslage nach
Art. 17 der Richtlinie
77/388/EWG:
Art. 17 Abs. 2
Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG
lautet:
"Soweit Gegenstände und
Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet
werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer
folgende Beträge abzuziehen, a) die im Inland geschuldete oder entrichtete
Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem
anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht
wurden oder erbracht werden."
Nach
ständiger Rechtsprechung des EuGH kann das Recht auf Vorsteuerabzug wegen
seiner Bedeutung für das System der Mehrwertsteuer grundsätzlich nicht
eingeschränkt werden. Ausnahmen sind nur zugelassen, wenn sie in der
Richtlinie 77/388/EWG selbst vorgesehen sind (vgl. EuGH-Urteile vom
19. September 2000 Rs. C-177/99, C-181/99, Ampafrance SA und Sanofi
Synthelabo, Rdnr. 34, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2000, 474, und vom
6. Juli 1995 Rs. C-62/93 BP Soupergaz, Rdnr. 18, Slg. 1995,
I-1883, UR 1995, 404).
Die
Bundesregierung war nach den geltenden Richtlinienbestimmungen nur dann zu einer
Beschränkung des Vorsteuerabzuges befugt, wenn sie dazu wirksam vom Rat der
Europäischen Gemeinschaften ermächtigt worden
ist.
a) Nach Art. 17
Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG hätte ein Ausschluss
der Anschaffungskosten eines Fahrzeugs vom Vorsteuerabzugsrecht beibehalten
werden können, wenn er zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der
Richtlinienbestimmungen in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen
gewesen wäre (vgl. EuGH-Urteil vom 5. Oktober 1999 Rs. C-305/97 -
Royscot Harrison, Slg. 1999, I-6671, UR 1999, 456). Das Umsatzsteuergesetz
enthielt die erwähnte Vorsteuerabzugsbeschränkung weder im Zeitpunkt
des In-Kraft-Tretens noch im Zeitpunkt, in dem Art. 17 der Richtlinie
77/388/EWG umzusetzen war.
b)
Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG sieht zwar
die Möglichkeit vor, dass die Mehrwertsteuer für Ausgaben, die keinen
streng geschäftlichen Charakter haben, nicht abziehbar ist. Die hierzu
erforderliche Ratsentscheidung liegt jedoch nicht vor; der entsprechende
Vorschlag der Kommission vom 17. Juni 1998 zu einer
Änderungsrichtlinie (--98/C 219/11--, ABlEG 1998 C-219/16) ist bisher
noch nicht umgesetzt worden.
c) Der
Rat hat allerdings am 28. Februar 2000 (2000/186/EG, ABlEG 2000,
Nr. L 59, 12) die Bundesrepublik nach Art. 27 der Richtlinie
77/388/EWG zum Erlaß einschränkender Regelungen ermächtigt.
Diese Ermächtigung lautet --soweit hier
entscheidungserheblich--:
Artikel
2:
"Die Bundesrepublik Deutschland
wird ermächtigt, abweichend von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie
77/388/EWG i.d.F. ihres Art. 28f und abweichend von Art. 6 Abs. 2
Buchst. a der genannten Richtlinie den Abzug der Mehrwertsteuer auf die
Gesamtausgaben für Fahrzeuge, die nicht ausschließlich für
betriebliche Zwecke genutzt werden, auf 50 % zu beschränken und die
Nutzung eines zum Unternehmen des Steuerpflichtigen gehörenden Fahrzeugs
für private Zwecke nicht der Erbringung einer Dienstleistung gegen Entgelt
gleichzustellen.
Abs. 1 gilt
weder für Fahrzeuge, die Umlaufvermögen des Steuerpflichtigen
darstellen noch für solche Fahrzeuge, die höchstens bis zu 5 %
für private Zwecke genutzt
werden.
Artikel
3:
Diese Entscheidung gilt mit
Wirkung vom 1. April 1999."
3.
Der Senat teilt aber die vom FG und in der Literatur (z.B. Grett, UR 2000, 181;
Lohse, Internationales Steuerrecht --IStR-- 2000, 232; Leonhard/Szczekalla, UR
2000, 195; Birkenfeld in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar,
§ 15 Abs. 1 Satz 2 Rz. 26; Dziadkowski,
Betriebs-Berater --BB-- 2000, 392; Wagner in Sölch/Ringleb,
Umsatzsteuergesetz, 44. EL., § 15 Rz. 564) erhobenen Zweifel an
der Vereinbarkeit der Entscheidung 2000/186/EG mit dem Gemeinschaftsrecht.
Zweifel bestehen vor allem aus formellen, aber auch aus materiell-rechtlichen
Gründen.
4. Zum
Verfahren
Art. 27 der
Richtlinie 77/388/EWG bestimmt:
"(1)
Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat
ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen
einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder
Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhüten. Die Maßnahmen zur
Vereinfachung der Steuererhebung dürfen den Betrag der im Stadium des
Endverbrauchs fälligen Steuer nur in unerheblichem Maße
beeinflussen.
(2) Der Mitgliedstaat,
der die in Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen einführen möchte,
befaßt die Kommission damit und übermittelt ihr alle zur Beurteilung
zweckdienlichen Angaben."
a)
Art. 27 der Richtlinie 77/388/EWG verlangt hiernach eine
"Ermächtigung", d.h. --nach dem möglichen Wortsinn-- eine
Entscheidung, die vor Erlass einer nationalen Regelung über die
Beschränkung des Vorsteuerabzugs einzuholen ist. Die Ermächtigung vom
28. Februar 2000 ist jedoch erst nach In-Kraft-Treten des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I
1999, 402) erteilt worden. Der Rat bezeichnet dementsprechend in Nr. 9 der
Erwägungen seine Entscheidung vom 28. Februar 2000 auch selbst nicht
als Ermächtigung, sondern als
Genehmigung.
b) Art. 27 der
Richtlinie 77/388/EWG verpflichtet die Mitgliedstaaten, Inhalt und Art der
geplanten Sondermaßnahme genau anzugeben und der Kommission alle für
deren Beurteilung zweckdienlichen Angaben zu übermitteln. Dies ist
angesichts des Verfahrens nach Art. 27 mit den sehr kurzen Fristen sowohl
für die Kommission als auch für die Mitgliedstaaten von grundlegender
Bedeutung, vor allem deshalb, weil Sondermaßnahmen das Ziel der
Harmonisierung der Mehrwertsteuer im Gemeinsamen Markt beeinträchtigen und
Art. 17 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG gerade für Ausgaben, die
keinen streng geschäftlichen Charakter haben, eine wettbewerbsneutrale,
für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen geltende einheitliche Regelung
vorsieht. Es erscheint daher erforderlich, dass der Kommission wie den
Mitgliedstaaten vor Einführung einer nationalen Sondermaßnahme
alle für die Bewertung der Sondermaßnahme erforderlichen
Informationen mitgeteilt werden. Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung des
Senats auch die Entscheidung des EuGH vom 29. Mai 1997 Rs. C-63/96 -
Skripalle (Slg. 1997, I-2847, BStBl II 1997, 841, Rdnr. 30) zu sehen,
wonach die Rats-Ermächtigung nicht über den beantragten Zweck
hinausgehen darf; denn die Kommission und die Mitgliedstaaten können nur
die Informationen und Erwägungen, die Gegenstand des Antrages waren, in
ihre Entscheidung
einbeziehen.
Bedenken gegen das der
Ermächtigung 2000/186/EG vorausgegangene Verfahren bestehen außerdem,
weil der Antrag auf Ermächtigung durch die Bundesrepublik von ihr nicht
veröffentlicht worden ist (vgl. bereits Vorlage-Beschluss des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Juni 1992 V R 151/84, BFHE 168,
477; durch Rücknahme erledigte Rs. C-340/92, BFHE 168,
477).
c) Nicht zweifelsfrei ist
auch, ob die Ermächtigung 2000/186/EG über den gestellten Antrag
hinausgehen durfte. Die Bundesregierung hat ihren Antrag auf Einführung
einer Sondermaßnahme an die Kommission nicht veröffentlicht. Dem
Vorschlag der Kommission vom 13. Dezember 1999 für eine Entscheidung
des Rates zur Ermächtigung der Bundesrepublik, von den Art. 6 und 17
der Richtlinie 77/388/EWG abweichende Regelungen anzuwenden (KOM --1999-- 690
endgültig), dürfte jedoch zu entnehmen sein, dass die Bundesregierung
die Ermächtigung nur mit der Begründung beantragt hat, sie diene dem
Zweck der Bekämpfung der Steuerhinterziehung bzw. -umgehung. Allein auf
diese Erwägung stützt sich der Vorschlag der
Kommission.
Die Entscheidung des
Rates vom 28. Februar 2000 geht über diesen Antrag hinaus und
stützt die Genehmigung zusätzlich auf die Erwägung, durch diese
Maßnahme werde ermöglicht, die "Besteuerungsregelung für die
private Nutzung von Fahrzeugen" zu vereinfachen (5.
Erwägungsgrund).
5. Zweifel an
der Vereinbarkeit der Ermächtigung mit Gemeinschaftsrecht bestehen auch
hinsichtlich der angeordneten Rückwirkung. Die zweite Vorlage-Frage
betrifft deshalb die Gültigkeit von Art. 3 Abs. 1 der
Entscheidung 2000/186/EG.
Nach der
Rechtsprechung des EuGH verbietet der Grundsatz des Vertrauensschutzes im
Allgemeinen, den Beginn der Geltungsdauer eines Rechtsaktes der Gemeinschaft auf
einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen (vgl. EuGH-Urteil vom
25. Januar 1979 Rs. 99/78 - Decker, Slg. 1979, 101;
Schlussanträge des Generalanwalts Jean-Pierre Warner vom 22. Juni 1976
in der Rechtssache 7/76 - Irca, Slg. 1976, 1213, 1229 ff.). Hiernach
sind Ausnahmen allenfalls zulässig, wenn das angestrebte Ziel eine
Rückwirkung verlangt, das berechtigte Vertrauen der Betroffenen
gebührend beachtet ist und der Rechtsakt die Rückwirkung
ausdrücklich vorsieht. Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung des
Senats nicht vor.
Die Entscheidung
des Rates vom 28. Februar 2000 enthält zur Notwendigkeit der
Rückwirkung keine Erläuterung. Anhaltspunkte dafür, dass das Ziel
des § 15 Abs. 1 b UStG eine entsprechende Rückwirkung
verlangte, sind nicht erkennbar. Das Problem des Vorsteuerabzugs bei teilweise
privat genutzten Fahrzeugen besteht seit der Einführung des Systems der
Mehrwertsteuer. Anhaltspunkte dafür, inwiefern die rechtlichen oder
tatsächlichen Verhältnisse sich insoweit geändert haben sollten,
ergeben sich weder aus der Begründung des Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002, mit dem § 15 Abs. 1 b UStG eingeführt
wurde, noch aus der Ermächtigung des Rates vom 28. Februar 2000. Gegen
die Dringlichkeit der Maßnahme spricht vor allem, dass der Vorschlag der
Kommission zu § 17 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG, der alle in
der Ermächtigung zur Sondermaßnahme erwähnten Gründe
anführt, und der auf eine inhaltlich vergleichbare, für alle
Mitgliedstaaten geltende einheitliche Regelung zielt, bisher nicht
beschlossen worden ist.
6. Falls der
EuGH die vorstehenden formellen Bedenken gegen die Wirksamkeit der
Ermächtigung nicht teilt, stellt sich die Frage, ob die Ermächtigung
inhaltlich den Anforderungen des Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie
77/388/EWG entspricht.
a) Nach der
Rechtsprechung des EuGH gehört der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit zu den allgemeinen Grundsätzen des
Gemeinschaftsrechts (vgl. insbesondere zuletzt EuGH-Urteil vom
19. September 2000 Ampafrance SA, Sanofi Synthelabo, IStR 2000, 655,
m.w.N.). Entscheidungserheblich ist deshalb, ob die Ermächtigung des Rates
vom 28. Februar 2000 (2000/186/EG) zur Verwirklichung des mit ihr
verfolgten konkreten Zieles erforderlich und geeignet ist und die Ziele und
Grundsätze der Richtlinie 77/388/EWG nicht mehr als erforderlich
beeinträchtigt (EuGH-Urteile Ampafrance SA/Sanofi Synthelabo,
Rdnr. 43, und Skripalle,
Rdnr. 30).
b) Die Entscheidung
des Rates in Art. 2 ist auf folgende Erwägungen
gestützt:
- Die Beschränkung des Vorsteuerabzugs sei
dadurch gerechtfertigt, dass die Zuordnung der Ausgaben für derartige
Gegenstände zu betrieblichen bzw. privaten Zwecken nur schwer zu
kontrollieren sei und dementsprechend die Gefahr der Steuerhinterziehung und des
Steuermissbrauchs bestehe. Darüber hinaus werde es durch diese
Maßnahme ermöglicht, die Besteuerungsregelung für die private
Nutzung von Fahrzeugen zu vereinfachen (5.
Erwägungsgrund).
- Weil die Beschränkung nicht gelte für
Fahrzeuge, die Umlaufvermögen des Steuerpflichtigen sind und nicht gelte,
wenn ein Fahrzeug höchstens bis zu 5 v.H. für private Zwecke
genutzt wird (6. Erwägungsgrund), sei gewährleistet, dass von dem
Grundsatz des vollständigen Abzugs der von einem Steuerpflichtigen im
Rahmen seiner steuerpflichtigen Tätigkeit getragenen Vorsteuer nicht weiter
abgewichen werde, als zur Verhütung der Gefahr der Steuerhinterziehung oder
Steuerumgehung erforderlich sei
(7. Erwägungsgrund).
Diese
Sondermaßnahme hat zur Folge, dass ein Steuerpflichtiger die
Mehrwertsteuer für die fraglichen Ausgaben auch dann nicht abziehen darf,
wenn er tatsächlich nachweisen kann, dass er die Aufwendungen zu einem
50 v.H. übersteigenden Anteil --z.B. zu 90 v.H. oder wie hier im
Streitfall zu 70 v.H.-- für streng geschäftliche Zwecke verwenden
wird oder verwendet hat.
Dieses
Ergebnis könnte dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
widersprechen. Die Kommission hatte jedenfalls in ihrem Vorschlag für eine
Entscheidung des Rates über den Antrag der deutschen Regierung vom
13. Dezember 1999 (KOM 1999/690, endgültig, UR 2000, 203,
Rdnr. 12) ausdrücklich unter Hinweis auf das Urteil des EuGH in
Slg. 1997, I-2847, UR 1997, 301) vorgeschlagen, die pauschale
Beschränkung des Vorsteuerabzugs auf 50 v.H. solle (auch) dann nicht
gelten, wenn der Steuerpflichtige nachweisen könne, dass der Anteil der
betrieblichen Nutzung an der gesamten Nutzung des Fahrzeugs über
50 v.H. liege.
Die
Bundesregierung selbst hat im Gesetzgebungsverfahren zum Steuerentlastungsgesetz
1999/2000/2002 die Neuregelung des § 15 Abs. 1 b UStG nicht
besonders begründet, insbesondere die Gefahr der Steuerhinterziehung bzw.
-umgehung nicht erwähnt; vielmehr ist die hier streitige Beschränkung
des Vorsteuerabzugs ausdrücklich als Maßnahme aufgelistet, die dazu
dienen soll, die im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vor allem enthaltenen
Steuerentlastungen zu
finanzieren.
c) Abgesehen davon,
dass eine Maßnahme zur Vereinfachung der Steuererhebung weder beantragt
noch von der Kommission vorgeschlagen worden ist, dürfen jedenfalls nach
Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG die "Maßnahmen zur
Vereinfachung der Steuererhebung ... den Betrag der im Stadium des Endverbrauchs
fälligen Steuer nur in unerheblichem Maße
beeinflussen".
Die Entscheidung des
Rates vom 28. Februar 2000 enthält zu diesem Beschränkungsgrund
keine nähere Darlegung.
Die
Beschränkung des Vorsteuerabzugs auf 50 v.H. beruht auf der nicht ohne
weiteres belegbaren Unterstellung, dass Fahrzeuge im Allgemeinen jeweils zur
Hälfte für unternehmerische und für außerunternehmerische
Zwecke genutzt werden. Dies ist bei nachweislich höherer oder geringerer
unternehmerischen Nutzung eine grobe Pauschalierung. Im Übrigen bestehen
Zweifel daran, ob die Regelung tatsächlich zu einer Steuervereinfachung
führt, denn sie verursacht eine Reihe zusätzlicher
umsatzsteuerrechtlicher und ertragsteuerlicher
Probleme.
III.
Bis zur Vorabentscheidung durch den EuGH wird das
Revisionsverfahren ausgesetzt (§ 74 FGO).