BUNDESFINANZHOF
1.
Der Verzicht auf die Steuerbefreiung eines Umsatzes gemäß
§ 9 UStG kann jedenfalls bis zur Unanfechtbarkeit der
Steuerfestsetzung rückgängig gemacht
werden.
2. Hatte der
Unternehmer auf die Steuerfreiheit des Umsatzes dadurch verzichtet, dass er dem
Leistungsempfänger den Umsatz unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer in
Rechnung gestellt hatte, kann er den Verzicht nur dadurch rückgängig
machen, dass er dem Leistungsempfänger eine berichtigte Rechnung ohne
Umsatzsteuer erteilt.
3.
Die Rückgängigmachung wirkt auf das Jahr der Ausführung des
Umsatzes zurück. Der leistende Unternehmer schuldet jedoch die dem
Leistungsempfänger in Rechnung gestellte, aber nicht mehr geschuldete
Umsatzsteuer bis zur Rechnungsberichtigung nach § 14 Abs. 2
UStG.
UStG 1980 § 9, § 14, §
15 AO 1977 § 175 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2
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Urteil vom 1. Februar 2001 V R
23/00
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Vorinstanz: Niedersächsisches FG
(EFG 2000, 970)
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Gründe
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind die Erben des im Jahre 1999 verstorbenen Heinrich R
(Veräußerer). Dieser betrieb ein Hotel und Restaurant. Im Jahre 1988
veräußerte er den Gesamtkomplex "Parkhotel R" zu einem Preis von
insgesamt 12 425 000 DM netto zzgl. Umsatzsteuer in Höhe von
1 739 500 DM. Der Nettoverkaufspreis entfiel in Höhe von
500 000 DM auf die Wohnung des
Veräußerers.
Die
Vertragsparteien änderten den notariell beurkundeten Kaufvertrag vom
29. Dezember 1988 zunächst --nach den Angaben der Kläger im
März 1989-- privatschriftlich dahin, dass der auf die Wohnung entfallende
Anteil von 500 000 DM steuerfrei belassen wurde; entsprechend sollte
sich der Kaufpreis mindern.
Mit
seiner Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 1988 erklärte der
Steuerpflichtige die Veräußerung der in dem Hotelkomplex befindlichen
Wohnung als steuerfreien Umsatz.
Der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte der
Steuererklärung nicht, sondern erhöhte bei der Umsatzsteuerveranlagung
des Veräußerers für das Jahr 1988 die regelbesteuerten
steuerpflichtigen Umsätze um den auf die Privatwohnung entfallenden
Nettoverkaufspreis in Höhe von 500 000 DM (Umsatzsteuerbescheid
für 1988 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 1. Februar
1995).
Hiergegen erhob der
Veräußerer
Klage.
Während des
Klageverfahrens ließen die Vertragspartner die Änderung des
ursprünglichen Kaufvertrags, wonach auf den auf die Privatwohnung
entfallenden Kaufpreisanteil keine Umsatzsteuer berechnet wurde, notariell
beurkunden (Vereinbarung vom 22. Februar
1999).
Das Finanzgericht (FG) gab
daraufhin der Klage statt. Es sah jedenfalls in der notariell beurkundeten
Vertragsänderung einen auf die Wohnung beschränkten Widerruf der
Option zur Steuerpflicht, der auf das Jahr der Grundstückslieferung (1988)
zurückwirke (vgl. Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2000,
970).
Hiergegen wendet sich das FA
mit der Revision. Es rügt Verletzung des § 14 Abs. 2 des
Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG) i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG. Nach
diesen Vorschriften wirke die Rechnungsberichtigung nicht
zurück.
Das FA beantragt, die
Vorentscheidung aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Kläger sind der
Revision entgegengetreten.
II.
Die Revision ist begründet. Die
Rücknahme des Verzichts auf die Steuerfreiheit wirkt zwar auf den Zeitpunkt
der Ausführung des Grundstücksumsatzes zurück; der
Veräußerer schuldete jedoch die dem Erwerber in Rechnung gestellte
Umsatzsteuer bis zur Vertragsänderung nach § 14 Abs. 2
UStG.
1. Der Veräußerer
hat im Jahre 1988 das verkaufte (und aufgelassene) Grundstück dem Erwerber
im Rahmen seines Unternehmens geliefert und damit einen Umsatz i.S. des
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG
getätigt.
Dies gilt auch
bezüglich der Wohnung, die der Veräußerer nach den
Feststellungen des FG seinem Unternehmen zugeordnet
hatte.
2. Die
Grundstückslieferung fiel unter das Grunderwerbsteuergesetz und war damit
nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG
umsatzsteuerfrei.
3. Der
Veräußerer hatte im Streitjahr 1988 wirksam auf die Steuerfreiheit
des Grundstücksumsatzes
verzichtet.
Nach § 9 UStG
kann der Unternehmer einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 9
Buchst. a UStG steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der
Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt
ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Behandlung des Umsatzes als
steuerpflichtig insbesondere dadurch erfolgen, dass der Steuerpflichtige dem
Leistungsempfänger den Umsatz unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer in
Rechnung stellt oder in seiner Steueranmeldung als steuerpflichtig behandelt
(Bundesfinanzhof --BFH--, Urteile vom 1. Dezember 1994
V R 126/92, BFHE 176, 491, BStBl II 1995, 426, und vom 25. Januar
1996 V R 42/95, BFHE 179, 480, BStBl II 1996,
338).
Der Veräußerer
hatte in dem Kaufvertrag vom 29. Dezember 1988 den Grundstücksverkauf
als steuerpflichtig behandelt. Der Grundstücksumsatz ist auch für das
Unternehmen des Käufers ausgeführt worden. Aus dem Umstand, dass in
dem notariellen Kaufvertrag die Umsatzsteuer aus dem Kaufpreis des
Gesamtkomplexes gesondert ausgewiesen war, konnte das FG schließen, dass
der Erwerber das gesamte Parkhotel (einschließlich Wohnung) "für"
sein Unternehmen erworben hatte.
4.
Die Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerfreiheit der
Veräußerung der Wohnung wirkte zwar auf das Jahr des
Grundstücksumsatzes (das Streitjahr 1988) zurück; der
Veräußerer schuldete jedoch in diesem Jahr die dem Erwerber in
Rechnung gestellte Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2
UStG.
a) Nach allgemeiner Meinung
kann der Verzicht auf die Steuerbefreiung wieder rückgängig gemacht
werden (vgl. BFH-Urteile vom 25. Januar 1979 V R 53/72, BFHE 127,
238, BStBl II 1979, 394; vom 25. Februar 1993 V R 78/88, BFHE
171, 369, BStBl II 1993, 777, und vom 11. August 1994 XI R 57/93,
BFH/NV 1995, 170; Abschn. 148 Abs. 4 der Umsatzsteuer-Richtlinien
--UStR--). Die Rückgängigmachung wirkt auf das Jahr der
Ausführung des Umsatzes
zurück.
Hatte der Unternehmer
auf die Steuerfreiheit des Umsatzes dadurch verzichtet, dass er dem
Leistungsempfänger den Umsatz unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer in
Rechnung gestellt hatte, kann er den Verzicht nur dadurch rückgängig
machen, dass er dem Leistungsempfänger eine berichtigte Rechnung ohne
Umsatzsteuer erteilt.
Im Streitfall
erfüllte der notarielle Kaufvertrag vom 29. Dezember 1988 die
Anforderungen an eine Rechnung i.S. des § 14 UStG. Die Behandlung der
(gesamten) Grundstückslieferung als steuerpflichtig konnte deshalb nur
(bezüglich des die Wohnung betreffenden Teils der Lieferung) durch eine
berichtigte Rechnung rückgängig gemacht werden. Dies ist durch die
Änderung des Kaufvertrags im Jahre 1989 oder im Jahre 1999
geschehen.
Für die Entscheidung
des Streitfalls ist unerheblich, ob der Verzicht bereits durch die
privatschriftliche Vertragsänderung im Jahre 1989 oder erst durch die
notariell beurkundete Vertragsänderung im Jahre 1999 wirksam
rückgängig gemacht worden ist; nicht entscheidungserheblich ist auch,
bis zu welchem Zeitpunkt der Verzicht auf die Steuerbefreiung
rückgängig gemacht werden kann. Jedenfalls liegt dieser Zeitpunkt
nicht vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung gegenüber dem
leistenden Unternehmer (BFH in BFHE 127, 238, BStBl II 1979, 394, und in BFH/NV
1995, 170). Da die Steuerfestsetzung für 1988 Gegenstand der vorliegenden
Anfechtungsklage ist, war dieser Zeitpunkt weder im Jahre 1989 noch im Jahre
1999 verstrichen.
b) Nach
§ 14 Abs. 2 Satz 1 UStG schuldet der Unternehmer, der in einer
Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren
Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert
ausgewiesen hat, auch den Mehrbetrag. Berichtigt er den Steuerbetrag
gegenüber dem Leistungsempfänger, so ist gemäß
§ 14 Abs. 2 Satz 2 UStG § 17 Abs. 1 dieses
Gesetzes entsprechend anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des BFH erfasst
§ 14 Abs. 2 UStG auch jene Fälle, in denen ein Unternehmer
in einer Rechnung Umsatzsteuer für steuerfreie Umsätze gesondert
ausgewiesen hatte und den darin liegenden Verzicht auf die Steuerbefreiung
nachträglich zurücknimmt (BFH-Urteile in BFHE 171, 369, BStBl II 1993,
777, und in BFH/NV 1995, 170). Mit der Rückgängigmachung des Verzichts
auf die Steuerbefreiung wird der in der ursprünglichen Rechnung
ausgewiesene Steuerbetrag --rückwirkend-- nicht mehr geschuldet. Der
leistende Unternehmer schuldet die dem Leistungsempfänger in Rechnung
gestellte, aber nicht mehr geschuldete Umsatzsteuer bis zur
Rechnungsberichtigung nach § 14 Abs. 2
UStG.
Wie bereits oben
ausgeführt wurde, erfüllte der notarielle Kaufvertrag vom
29. Dezember 1988 die Anforderungen an eine Rechnung i.S. des
§ 14 UStG. Da diese Rechnung im Streitjahr 1988 noch nicht berichtigt
worden war, schuldete der Veräußerer die ausgewiesene Steuer im
Streitjahr nach § 14 Abs. 2
UStG.
5. Der geschilderten
Rechtslage steht nicht die Behandlung des Vorsteuerabzugs beim Erwerber
entgegen. Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer erfordert, dass
der Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung durch den
leistenden Unternehmer die Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs beim
Leistungsempfänger entspricht. Die Rückgängigmachung des
Vorsteuerabzugs wirkt sich beim Leistungsempfänger bereits im Jahr des
Leistungsbezugs aus. § 14 Abs. 2, § 17 Abs. 2
Nr. 2 UStG findet insoweit keine Anwendung. Der Vorsteuerabzug nach
§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG setzt nämlich voraus,
dass eine Steuer für den berechneten Umsatz geschuldet wird (Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 13. Dezember 1989
Rs. C-342/87, Genius Holding, Slg. 1989, 4227, 4242, Umsatzsteuer- und
Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 1990, 113, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1991, 83;
BFH-Urteil vom 2. April 1998 V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II
1998, 695). Macht der leistende Unternehmer den Verzicht auf die Steuerbefreiung
rückgängig, wird der Umsatz rückwirkend wieder steuerfrei, so
dass eine Steuer für den berechneten Umsatz nicht mehr geschuldet wird. Der
Erwerber verliert den Vorsteuerabzug rückwirkend im Jahr des
Leistungsbezugs und nicht erst im Zeitpunkt der Rückgängigmachung des
Verzichts auf die Steuerbefreiung (im Zeitpunkt der Rechnungsberichtigung). Die
rückwirkende Berichtigung des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger
ist auch abgabenrechtlich möglich.
Nach § 175 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ist ein Steuerbescheid zu
ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die
Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Was unter einem
rückwirkenden Ereignis zu verstehen ist, entscheidet sich nach dem im
Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz (BFH-Urteil vom
21. Dezember 1993 VIII R 69/88, BFHE 174, 324, BStBl II 1994,
648; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993
GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. der
Gründe). Weil nur die geschuldete Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehbar ist,
hat die Rückgängigmachung des Verzichts durch den leistenden
Unternehmer Tatbestandswirkung für den Vorsteuerabzug des
Leistungsempfängers und ist deshalb ein rückwirkendes Ereignis i.S.
des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977.