BUNDESFINANZHOF













1. Eine Körperschaft verfolgt dann keine gemeinnützigen Zwecke, wenn sie Tätigkeiten nachgeht, die gegen die Rechtsordnung verstoßen. Dies kann eine der Körperschaft als tatsächliche Geschäftsführung zurechenbare Lohnsteuerverkürzung sein. Die Zurechenbarkeit eines eigenmächtigen Handelns einer für die Körperschaft tätigen Person ist bereits bei grober Vernachlässigung der dem Vertretungsorgan obliegenden Überwachungspflichten zu bejahen; insoweit kommt auch ein Organisationsverschulden in Betracht (Fortführung des BFH-Urteils vom 31. Juli 1963 I 319/60, HFR 1963, 407).

2. Eine Verletzung des Rechts auf Gehör liegt regelmäßig vor, wenn die Entscheidung auf einen Gesichtspunkt gestützt wird, zu dem sich der Verfahrensbeteiligte nicht äußern konnte (Überraschungsentscheidung).



AO 1977 §§ 52 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 1
UStG 1993 § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a
FGO § 96 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
Urteil vom 27. September 2001 V R 17/99
Vorinstanz: FG Köln (EFG 1999, 746)

Gründe

I.
Streitig ist im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzungen 1992 bis 1996, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) --ein eingetragener Fußballverein-- ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt hat und deshalb auf seine Umsätze der ermäßigte Steuersatz anzuwenden ist.

Nach der Satzung des Klägers vom 29. Juni 1984 bezweckte er die körperliche und charakterliche Ertüchtigung seiner Mitglieder durch planmäßige Pflege und Förderung der Leibesübung, insbesondere des Fußballsports. Er war im Übrigen nicht wirtschaftlich tätig. Nach dieser Satzung lehnte der Kläger den Berufssport ausdrücklich ab. Demgemäß gab er keine Zuwendungen an Mitglieder aus Vereinsmitteln. Zum 1. Juli 1994 änderte der Kläger seine Satzung. Nunmehr enthält sie die Bestimmung, dass keine Person durch unverhältnismäßig hohe Vergütung begünstigt werden darf.

Nach einer Betriebsprüfung im Jahre 1994 wegen Lohn- und Umsatzsteuer für 1990 bis 1993 hob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Vorbehalt der Nachprüfung zur Umsatzsteuerfestsetzung für 1992 auf und setzte die Umsatzsteuer für 1993 entsprechend den Prüfungsergebnissen fest. Dabei ging das FA davon aus, dass der Kläger gemeinnützig sei und dass dessen Umsätze somit dem ermäßigten Steuersatz unterlägen (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- 1991/1993).

Bei einer Lohnsteueraußenprüfung im Jahr 1997 stellte das FA fest, dass Fußballspieler des Klägers, die ihm als Mitglieder angehörten und vertraglich für ihre Leistungen (lediglich) eine monatliche Aufwandsentschädigung bezogen, von Sponsoren in den Jahren 1992 bis 1997 als Spieler insgesamt 820 000 DM erhalten hatten. Die zusätzlichen Gelder hatten die Sponsoren dem Manager und Obmann des Klägers, Herrn E, zum Zwecke der Weiterleitung an die Spieler übergeben. Dies sei, wie der Kläger geltend gemacht hatte, ohne Wissen seines Vorstands geschehen.

Auf Grund einer tatsächlichen Verständigung zwischen FA und Kläger wurden für die Streitjahre 1992 bis 1996 Zuwendungen von insgesamt 596 600 DM angesetzt, für die das FA Lohnsteuer nacherhob. Zudem unterwarf es in geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre die zuvor ermäßigt besteuerten Umsätze des Klägers dem allgemeinen Steuersatz mit der Begründung, der Kläger habe nicht ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt.

Die dagegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) ab, weil der Kläger nicht gemeinnützig gewesen sei und somit die Voraussetzungen der Steuervergünstigung nicht erfüllt habe. Es führte zur Begründung u.a. aus, die tatsächliche Geschäftsführung bis 1994 habe nicht dem Satzungszweck entsprochen, nach dem nur der unbezahlte Sport habe gefördert werden sollen. Ab 1994 habe die Satzung zwar auch verhältnismäßige Vergütungen an einzelne Personen zugelassen. Dem Kläger sei aber die damit unvereinbare Bezahlung seiner Fußballspieler zuzurechnen. Nach den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht müsse er sich das Verhalten seines Spielerobmannes E zurechnen lassen. Es sei nicht glaubhaft, dass der Vorstand des Klägers von den inoffiziellen Zahlungen an seine Fußballspieler durch Sponsoren nichts gewusst habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 746 veröffentlichte Urteil Bezug genommen.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen und formellen Rechts. Er beantragt sinngemäß, unter Änderung des angefochtenen Urteils und der Einspruchsentscheidung die streitbefangenen Umsätze in den Umsatzsteuerbescheiden für 1992 bis 1996 nur dem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen.

Das FA tritt der Revision entgegen.

II.
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Soweit das Urteil die angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheide 1992 und 1993 betrifft, reichen die Feststellungen für eine abschließende Überprüfung nicht aus. Das FG hat nicht erörtert, ob und weshalb die nach der Außenprüfung im Jahre 1994 ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen geändert werden durften. Dies würde nach § 173 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO 1977) oder eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO 1977) voraussetzen.

Bei der Prüfung, ob der Tatbestand des § 370 oder des § 378 AO 1977 insbesondere durch E oder Herrn M, der nach der Behauptung des Klägers in der Vorinstanz früher für den Sponsorenpool zuständig gewesen sein soll, verwirklicht wurde, werden die tatsächliche Verständigung und der bestandskräftige Lohnsteuernachforderungsbescheid zu würdigen sein.

2. Die ebenfalls angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen für 1994 bis 1996 durfte das FA zwar nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 ändern; wegen des insoweit fehlerhaften gerichtlichen Verfahrens und mangels ausreichender Feststellungen ist dem Revisionsgericht eine abschließende Prüfung in der Sache jedoch nicht möglich.

a) Der Kläger rügt zu Recht, dass das FG das rechtliche Gehör verletzt habe, soweit der Zeitraum nach der Satzungsänderung betroffen ist. Das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) gewährleistet den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, sich zu Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, die der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. März 2001 VII R 62/00, BFH/NV 2001, 1037, m.w.N.). Der Kläger hatte nach dem Inhalt der Akten vor Ergehen des angefochtenen Gerichtsbescheids keine Gelegenheit, sich dazu zu äußern, dass das FG eine Satzungsbestimmung als unklar beurteilt hat, die im Wesentlichen § 55 Abs. 1 Nr. 3 a.E. AO 1977 entspricht (dazu BFH-Urteil vom 3. Dezember 1996 I R 67/95, BFHE 182, 258, BStBl II 1997, 474).

Im Übrigen müssen --im Gegensatz zum früheren Recht-- nach § 60 Abs. 1 AO 1977 nur noch die Satzungszwecke und die Art ihrer Verwirklichung so genau bezeichnet sein, dass aufgrund der Satzung die an sie gestellten Voraussetzungen für die Steuervergünstigung geprüft werden können (BFH-Urteil vom 29. August 1984 I R 203/81, BFHE 142, 51, BStBl II 1984, 844, zu 1. c).

b) Die vorhandenen Feststellungen reichen für eine abschließende Beurteilung durch den Senat, ob die Umsätze des Klägers dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, nicht aus.

§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG 1993 sieht die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes vor für Leistungen der Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar u.a. gemeinnützige Zwecke i.S. der §§ 51 ff. AO 1977 verfolgen. Gemeinnützigen Zwecken dient eine Körperschaft, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern (§ 52 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Tätigkeiten, die gegen die Rechtsordnung verstoßen, erfüllen diese Voraussetzungen nicht (BFH-Urteil vom 13. Juli 1994 I R 5/93, BFHE 175, 484, BStBl II 1995, 134). Auch die tatsächliche Geschäftsführung muss sich im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung halten, da die Rechtsordnung als selbstverständlich das gesetzestreue Verhalten aller Rechtsunterworfenen voraussetzt (BFH-Urteile vom 29. August 1984 I R 215/81, BFHE 142, 243, BStBl II 1985, 106, und vom 13. Dezember 1978 I R 39/78, BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482, zu 4. a.E.). Als Verstoß gegen die Rechtsordnung, die die Annahme der Gemeinnützigkeit ausschließt, kommt auch eine dem Kläger zurechenbare Lohnsteuerverkürzung in Betracht:

Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten; der Lohnsteuer unterliegt auch der im Rahmen des Dienstverhältnisses üblicherweise von einem Dritten für eine Arbeitsleistung gezahlte Arbeitslohn (§ 38 Abs. 1 Satz 2 EStG). Darüber hinaus ist der Arbeitgeber verpflichtet, die einbehaltene Lohnsteuer anzumelden und an das Betriebstätten-FA abzuführen (§ 41a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 EStG).

Gegen diese Pflichten hat der Kläger verstoßen, wenn ihm Dritte Geld zur Bezahlung von Fußballspielern (aus einem Pool) zugewendet haben oder wenn es sich bei den von E abgewickelten Geldzuwendungen an die Spieler des Klägers um übliche Lohnzahlungen Dritter gehandelt haben sollte. Die Ausführungen des FG, es sei "bei Sportinteressierten allgemein bekannt", dass auch unterhalb der beiden Fußball-Bundesligen Spielergehälter gezahlt würden, obwohl dies an sich untersagt sei, rechtfertigt mangels nachprüfbarer Feststellungen nicht den Schluss auf die Üblichkeit derartiger Zahlungen.

c) Schließlich reichen die Feststellungen des FG zur Bezahlung von Spielern des Klägers im Jahre 1994 bis zum In-Kraft-Treten seiner geänderten Satzung (vgl. dazu BFH-Urteil vom 25. April 2001 I R 22/00, BFHE 194, 354, BStBl II 2001, 518) für eine abschließende Beurteilung eines Verstoßes der tatsächlichen Geschäftsführung gegen die entsprechende Satzungsbestimmung nicht aus (vgl. § 59 a.E. AO 1977 und § 63 AO 1977).

Berufssport im Sinne der Satzung dürfte dann nicht anzunehmen sein, wenn den Sportlern lediglich Aufwendungen ersetzt werden (vgl. § 67a Abs. 3 Satz 1 AO 1977; ferner BFH-Urteil vom 1. April 1999 VII R 51/98, BFH/NV 2000, 46, zu II. 2. a, und Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 27. September 1999 II ZR 305/98, BGHZ 142, 304, zu II. 2. a betr. Vertragsamateure). Ob dies nur bis zu der im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 67a Abs. 3 Nr. 8 (BStBl I 1998, 630) genannten monatlichen Grenze von durchschnittlich 700 DM gilt, braucht hier nicht entschieden zu werden.

d) Das FG wird im zweiten Rechtsgang ggf. auch Feststellungen zu treffen haben, ob die streitigen Umsätze in den Jahren 1994 bis 1996 aus einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (z.B. Bandenwerbung) herrührten, der kein Zweckbetrieb war (vgl. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 2 UStG, § 64 Abs. 1 AO 1977).

e) Der erkennende Senat weist zur Frage, ob ein etwaiges Fehlverhalten des E dem Kläger zuzurechnen ist, auf Folgendes hin:

Ein eigenmächtiges Handeln eines nicht (einzel-) vertretungsberechtigten Geschäftsführers kann der juristischen Person grundsätzlich nur dann zugerechnet werden, wenn der Sachverhalt den anderen Geschäftsführern infolge grober Vernachlässigung der ihnen obliegenden Überwachungspflichten verborgen geblieben ist (BFH-Urteil vom 31. Juli 1963 I 319/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963, 407).

Keine geringeren Anforderungen werden dann zu stellen sein, wenn es nicht um das Handeln eines Vorstandsmitglieds, sondern um das einer anderen in maßgeblicher Position für einen Verein tätigen Person geht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 142, 243, BStBl II 1985, 106, zu 5. b a.E.). Dabei kann im Rahmen der Prüfung der groben Vernachlässigung von Überwachungspflichten die Art und Dauer des Handelns der für den Verein tätigen Person nicht unberücksichtigt bleiben. Erst recht in Betracht kommt eine Zurechnung des Handelns einer Person für einen Verein, wenn der Vorstand dieses kennt, aber gleichwohl nicht unterbindet. Gerade bei größeren Vereinen kann auch ein entsprechendes Organisationsverschulden in Betracht kommen; so kann ein Vorstand nicht wesentliche Angelegenheiten delegieren und eine Verantwortung des Vereins dadurch vermeiden, dass er die delegierte Tätigkeit nicht (genügend) kontrolliert (vgl. z.B. BGH-Urteil vom 8. Juli 1980 VI ZR 158/78, Neue Juristische Wochenschrift 1980, 2810).